Der Historiker Markus Wieland berichtet über die Vorgeschichte der SPD in Walldürn
Das Jubiläum „100 Jahre SPD in Walldürn“ war Anlass für einen öffentlichen Vortrag mit dem Titel: „Wie die SPD nach Walldürn kam . . .“ zu dem der SPD Ortsverein am vergangenen Sonntag in den Bürgersaal des Walldürner Rathauses geladen hatte. Der Historiker Markus Wieland berichtete einige Episoden aus der sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Bewegung in unserer Region zu Beginn des 19. Jahrhunderts sowie aus der Vorgeschichte der Walldürner SPD.
Mit einem Zitat aus der Mannheimer „Volksstimme“ vom 20. November 1918 eröffnete der Ortsvereinsvorsitzende Ralf Beyersdorfer seine Begrüßung:
„Walldürn, 18. Nov. Nunmehr hat die Sozialdemokratie auch hier in Walldürn ihren Einzug gehalten. Gestern fand eine von unserem Parteigenossen Englert einberufene Volksversammlung in der Aula des Schulhauses statt, die mehrere hundert Teilnehmer aufwies. Unter stürmischer Zustimmung der Versammlung unterzog der als Redner erschienene Stadtrat Meier – Heidelberg die Sünden der bisherigen deutschen Herrenkaste einer vernichtenden Kritik. Nur die Revolution habe Deutschland vor dem völligen Untergang retten können. Nunmehr gelte es die Errungenschaften der Revolution zu befestigen und Deutschlands Verfassung im demokratisch-sozialistischem Sinne auszubauen. Anschließend an das Referat wurde die Gründung eines Sozialdemokratischen Vereins beschlossen, dem sofort 63 Mitglieder beitraten. Ein Zeichen, dass nunmehr auch das Frankenland erwacht!“
Es war also genau vor 100 Jahren, so Beyersdorfer, als sich Walldürner Bürgerinnen und Bürger öffentlich zur Sozialdemokratie bekannt haben, um gemeinsam für eine bessere wirtschaftliche und politische Stellung in der Gesellschaft zu kämpfen. Es waren vor allem die „kleinen Leute“, überwiegend Handwerksgesellen und Tagelöhner aus den Steinbrüchen und Sägewerken, die sich in der gewerkschaftlichen und sozialdemokratischen Arbeiterbewegung zusammenschlossen.
Mit dieser „Volksversammlung“ am 18. November 1918 war die Novemberrevolution auch in Walldürn angekommen. Und sicherlich, so der Ortsvereinsvorsitzende Ralf Beyersdorfer, war dieses Aufbegehren der „kleinen Leute“ in Walldürn ein revolutionärer Akt.
Mit dem Jubiläum „100 Jahre SPD in Walldürn“ wollen die Walldürner Sozialdemokraten auch daran erinnern, dass seither Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten die Geschichte Walldürns mitgestaltet haben.
Stellvertretend für die vielen Gemeindeverordneten, Stadträte und Kreisräte sowie die vielen Frauen und Männer, die sich in die Arbeit der SPD in Walldürn eingebracht haben und einbringen, nannte Ralf Beyersdorfer die beiden sozialdemokratischen Bürgermeister Dr. Arthur Trautmann und Karl-Heinz Joseph.
Aus der 100-jährigen Tradition und Geschichte des SPD-Ortsvereins in Walldürn, ergebe sich auch ein Auftrag für die Zukunft: „Wir wollen bürgernahe Politik für Walldürn machen“ endete Ralf Beyersdorfer seine Begrüßung.
Zu Beginn seines Vortrages ging der Historiker Markus Wieland auf seine Studien und seine Recherchen zur Geschichte der Sozialdemokratie in unserem Kreis ein. Leider seinen viele historische Quellen, zum einen durch die Verfolgung der Sozialdemokratie während des Drittes Reiches, zum anderen durch die Zerstörung von Archiven während des zweiten Weltkriegs verloren gegangen.
Zur Einstimmung nannte Markus Wieland zuerst ein paar Zahlen über Walldürn zu Beginn des 19. Jahrhunderts, bevor er anhand von Zeitungsartikeln aus der damaligen Zeit ein lebendiges, teilweise auch unterhaltsames Bild der Epoche zeichnete.
Damals war Walldürn noch die einwohnerstärkste Stadt im Verwaltungsbezirk Buchen. Obwohl noch stark landwirtschaftlich geprägt, hatte Walldürn durch die Steinhauer in den Steinbrüchen, die Sägewerker und den Frauen in den Blumen- und Kerzenfabriken eine große Arbeiterschaft und damit verbunden auch erste Gewerkschaften.
Harte Arbeitsbedingungen, Löhne, die kaum für das Nötigste reichten sowie ein Wahlsystem, das der Arbeiterschaft eine Teilhabe am politischen und gesellschaftlichen Leben erschwerte, ließen die „Wilhelminische Zeit“ für die kleinen Leute keineswegs so glorreich erscheinen. Für viele boten die Gewerkschaften und die Sozialdemokratie Möglichkeiten für ihre Rechte zu streiten. Und so kann man annehmen, dass es auch schon vor besagter „Volksversammlung“ im November 1918 Mitglieder der SPD in Walldürn gab, die jedoch noch nicht örtlich organisiert waren.
Der Zusammenbruch des Kaiserreiches nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg und die Novemberrevolution ebneten den Weg für die erste demokratische Republik auf deutschen Boden. Wesentliche Ziele der Sozialdemokratie, wie beispielsweise das allgemeine, gleiche und geheime Wahlrecht und das Frauenwahlrecht wurden vor 100 Jahren in Deutschland eingeführt.
In Orten, wie Walldürn, die schon zuvor eine aktive, sozialdemokratisch geprägte Arbeitnehmerschaft hatten wurden in „Volkversammlungen“ zur Gründung von Ortsvereinen oder „Sozialdemokratischen Vereinen“ aufgerufen. Im Mai 1919 organisierte der „Sozialdemokratische Verein“ eine Maikundgebung der Arbeiterschaft, die auch Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins war.
Im Anschluss an seinen Vortrag beantwortete Markus Wieland noch Fragen der Zuhörer. Ralf Beyersdorfer bedankte sich im Namen des SPD-Ortsvereins für den interessanten und informativen Vortrag. Es gibt noch viele Geschichten der Walldürner Sozialdemokratie, die es wert sind erzählt zu werden, so waren sich Markus Wieland und Ralf Beyersdorfer einig.